Für den Berliner Designer Frank Leder sind Heimat und Natur keine Floskeln. Seine kernige Männermode ist inspiriert von der Garderobe alter Zünfte und die ausgefallene Kosmetiklinie entsteht in einer wahren Postkartenidylle. Autor Matthias Luckwaldt auf Landpartie – mit Pflege-Stufe
Die Reifen des Taxis wirbeln hellbraunen Staub auf, als der Fahrer im Rückwärtsgang das Hofgelände verlässt. Weiter unten auf der Landstraße legt sich eine Motorrad-Clique dröhnend in die Kurve. Dann: absolute Stille. Für einen Moment zumindest. Bis das Großstädterohr vom City- in den Country-Modus schaltet und erst schnatternde Gänse wahrnimmt. Schließlich sogar eine Fliegenstaffel, die vom Ziegenstall im halsbrecherischen Manöver in den rustikalen Brotzeitraum der Molkerei Metzler saust. Fehlt bloß noch Heidi. Stattdessen sitzt an einem langen Holztisch das vielleicht seltsamste Paar seit Jack Lemmon und Walter Matthau.
Links der 40-jährige Modedesigner Frank Leder, in einer dunklen Tweedkombi zum denimfarbenen Leinenhemd und schmaler Strickkrawatte. Die schulterlangen Haare zu einem Minidutt gerafft. Ihm gegenüber in Jeans, weißem Arbeitssweater und Schirmmütze – Ingo Metzler, knapp 50 Jahre alt und Hausherr. „Metzler, naturhautnah.at“ steht gestickt auf seinem Cap. Zwei Männer aus zwei Welten, das passt zur Location der Molkerei mit Kosmetik-Knowhow und Streichelzoo. Hier im Vorarlberg, unweit von Bregenzerwald und Bodensee treffen nämlich Deutschland, Österreich und die Schweiz aufeinander. Servus, grüezi und hallo. Und mögen sich die Nationen auch gelegentlich behaken, Leder und Metzler eint ihre große Leidenschaft für die Naturkosmetik.
Doch was verschlägt einen Modedesigner, der das englische Central Saint Martins College besuchte, wie vor ihm Alexander McQueen und John Galliano, und seine Kollektionen auf der London Fashion Week und in Paris zeigte, an diesem Wochenende an den Rand der 3500-Seelen-Gemeinde Egg? Zunächst kommt er nach Deutschland zurück, genauer nach Berlin. 2002 war das. „Schon während des Studiums bin ich regelmäßig zu meinen Eltern nach Nürnberg gefahren“, erzählt Frank Leder und nimmt einen Schluck aus der verschnörkelten Kaffeetasse. Er habe aus erst der Ferne die deutsche Geschichte und Kultur schätzen gelernt.
„Ich hänge nicht an Nostalgie, ich möchte Erinnerungen zum Leben erwecken.“
Es sind vor allem alte Berufe, die den Wahlberliner seit über zehn Jahren nicht mehr loslassen und stundenlang in Antiquariaten über Büchern und Bildbänden brüten lassen. Fahrende Gesellen, Bergarbeiter, Zimmerleute und Metzger, dazu längst vergessene Zünfte, ihre Kleidung und Gebräuche sind es, die Leder Saison für Saison in moderne Mode übersetzt. „Ich habe sogar mal einen Zimmermann auf der Walz im Auto mitgenommen und ausgefragt. Oder einen alten Schiffer, den meine Assistenten ausfindig gemacht haben.“ Alle diese Storys und Stimmungen fließen in seine Männeroutfits ein, am liebsten verwendet der Designer dazu traditionelle, kaum mehr genutzte Materialien, historische Knöpfe und Seile. „Es macht Riesenspaß, Vergangenes zu neuem Leben zu erwecken.“
Leders aktuelle Männermode mit dem spirit von einst, kommt vor allem im Ausland gut an. Besonders in Japan und den USA sind die hochwertigen „Arbeiterklamotten“ ziemlich hot. Zu den Bestsellern gehört der Bergmannsrucksack, den Leder mit einer Manufakturen aus Nürnberg entworfen hat. Zu jedem Stück gehört eine Original-Wanderkarte aus den 20er Jahren, eine Retro-Feldflasche und eine Diamon-Taschenlampe aus den Thirties.
Frank Leder treiben weder Ruhm noch Geld, allein die Liebe zum Detail zählt. So auch bei der Lancierung seiner Beauty-Linie namens „Tradition“ vor drei Jahren. Businessplan? Fehlanzeige. „Ich wollte nicht einfach ein Parfum machen, wie mancher Kollege, nur um schnell viel Geld zu verdienen. Mir ging es darum, meine Leidenschaft mit möglichst vielen Menschen zu teilen. Und das geht mit Kosmetik, die sich jeder leisten kann, noch besser als mit Mode.“ Doch an ein anonymes Großlabor wollte der eigenwillige Unternehmer sein „Baby“ nicht abgeben. Er suchte nach einem Partner, der geduldig mit ihm an Rezepturen aus natürlichen Rohstoffen feilt und seine Vision teilt. „Ich wollte persönliche Erinnerungen in Pflegeprodukten bannen. An die Nachmittage, als ich mit Papa früher in die Pilze gegangen bin oder mit meiner Großmutter Holunderblüten gesammelt habe.“ Ein Spaziergang mit seinem Jagdhund durch Potsdams Eichenwälder wurde so zum Ölbad „Deutsche Eiche“. Das bewusst unperfekte Blatt in jeder Flasche sammelt Leder selbst.
Schließlich stieß er auf Ingo Metzler, der in Egg seit 1992 hochwertige Kosmetik für Spas im In- und Ausland herstellt. Eine Molkerei umgeben von Gärten voller Rosenstöcke, Fichten und vielen Gebirgspflanzen, ideal für die Produktion eigener Produktion. A match made in heaven für Frank Leder, der in den ersten beiden Jahren der Zusammenarbeit seine Seifen per Hand im Studio abfüllte, Metzler lieferte zunächst nur die Rohware nach Berlin.
Das heute deutlich spürbare Vertrauen zwischen den beiden Männer musste erst langsam wachsen. Kein Wunder, denn das erste Produkt, das der Modedesigner sich wünschte war die Handseife „Roter Preßsack“ – inspiriert von einer Wurstspezialität seiner fränkischen Heimat. Für Leder völlig logisch, hatte er doch die T-Shirts einer Kollektion als Hommage an das Fleischergewerbe in echten Wurstdosen verpackt. Für Ingo Metzler dagegen ein anfangs reichlich absurder Einfall. „Der ,Künschtler‘ wieder“, sagt der Landwirt und Kosmetikmacher im weichen Dialekt der Region. „Wir sind hier alle sehr bodenständig, konzentrieren uns aufs Sähen und Ernten, haben die ursprünglichen Dinge des Lebens fest im Blick.“ Künstler, die mit ihrem Kopf über den Wolken hängen und abstrusen Ideen nachhängen? Die sollen weiterfahren. Doch bei Frank Leder, das merkt Metzler damals schnell, kommt beides zusammen: kreative Konzepte, um die Ecke gedacht, mit ganz viel Herz – und diese unbändige Faszination und Wertschätzung fürs harte Handwerk. „Viele Geschichten von alten Berufen und ihren Ursprüngen kennt er besser als ich“, sagt Metzler grinsend. Ihn freut die Dynamik, die der Berliner mit Nürnberger Wurzeln in seine Beauty-Molkerei gebracht hat.
„Ich wollte Badeöle aus je zwei farbigen Flüssigkeiten, die sich trennen. Wie bei einem Experiment im Chemie-Unterricht.“
Ob Eichenölbad, Wurst-Seife oder Steinpilz-Lotion, der Betrieb musste für Leders Pflegelinie immer ganz vorne anfangen. „Alles so hinzubekommen, dass es dem Frank passt, das war schon mühsam“, gibt Metzler ohne zu Zögern zu, während er die Knöpfe der großen Mischanlage betätigt, in der aus einzelnen Zutaten Kosmetik für Naturburschen und -madeln wird. Was der Leder denn für ein Spinner sei, hieß es in seiner Mannschaft bei der Entwicklung eines Holunder-Duschgels. Nie war dem Designer der Duft intensiv genug. Hingekriegt hat das ungleiche Team es natürlich trotzdem. Heute ist es sogar Ingo Metzlers Lieblingsprodukt.
Viel Spaß hatten die beiden bei der Planung der neuen „Schulserie“ bestehend aus einem Regenerationsbad und einer Konzentrations-Tinktur. „Ich wollte Produkte mit je zwei farbigen Flüssigkeiten, die sich trennen, wie bei einem Experiment im Chemie-Unterricht“, umreißt Leder die Grundidee. Ingo Metzler hatte zunächst Bauchschmerzen dabei: „Wenn ein Badezusatz sich trennt, ist das ein Grund zur Reklamation, also eine Katastrophe. Und jetzt kam plötzlich der Künstler und wollte das unbedingt so.“ Kopfschütteln und ungezählte Flüche beim Herumtüfteln. Frank Leder müssten in seinem Berliner Atelier eigentlich tagelang die Ohren geklingelt haben.
Auch für die Zukunft hat Leder eine Menge skurriler Ideen gesammelt. Ein Fußbad aus dem Harz österreichischer Schwarzkiefern und immunstärkende Essigtinkturen sollen es sein. Seiner wachsenden Fangemeinde wird auch das gefallen. Und was würde Ingo Metzler selbst gern entwickeln? „Wir verharren der Dinge, die da kommen. Frank war bisher immer für eine Überraschung gut.“ Sagt’s und stapft auf derben Sohlen Richtung Stall. 70 Ziegen versorgen sich nicht von allein.
Dieser Artikel erschien erstmals 2015 im Magazin Manual.
Fotos: Frank Leder, pixabay.com